Die Südtiroler Extrembergsteigerin Tamara Lunger im Gespräch

Wir alle haben Pläne, Ziele und Träume

Die Höhenbergsteigerin Tamara Lunger aus Karneid erzählt von den bewegendsten Momenten ihrer Karriere, was Frausein für sie bedeutet und von der von ihr gegründeten Hilfsinitiative „For women“.

Mir ist klar geworden, dass man als Frau genauso viel erreichen kann wie als Mann, auf eine andere Art und Weise. (...) Man hat eine andere Vorgehensweise, eine andere Denkweise und andere Prioritäten.

Tamara Lunger
Extrembergsteigerin

Sie sind eine Weltklasse-Höhenbergsteigerin. Wo und wann haben Sie Ihre Liebe zu den Bergen entwickelt?

Tamara Lunger: In meiner Kindheit. Mein Vater hat damals an Mountain-Bike-Rennen mitgemacht und meine Mutter, meine Schwestern und ich sind mit unserem VW-Bus bei jedem Rennen dabei gewesen. Das sportliche Ambiente bei den Wettkämpfen hat mich von Anfang an fasziniert. Gemeinsam mit meinem Vater bin ich dann mit 14 oder 15 Jahren zum ersten Mal Skitour auf das Schwarzhorn gegangen und obwohl ich nicht Skifahren konnte und bei der Abfahrt in fast jeder Kurve gestürzt bin, wusste ich gleich, dass dieser „zache“ Sport genau richtig für mich war. Ich kam in die Nationalmannschaft und nahm an Rennen Teil. Aber bereits in jungen Jahren habe ich verstanden, dass mich der Berg ruft. Auf der Reise zu einer Italienmeisterschaft mit 14-15 Jahren habe ich dann einen Artikel über eine italienische Bergsteigerin und ihre Besteigung des Mount Everest gelesen. Der Artikel hat mich beeindruckt und ich wusste, dass ich selbst einmal die „Königsdisziplin“ der Berge – das Höhenbergsteigen – zu meinem Sport machen möchte.

 

Was war der bisher bewegendste Moment in Ihrer Bergsteigergeschichte?

Tamara Lunger: Eine Erfahrung, die mich aus der Bahn geworfen hat, war meine letzte Expedition am K2 im Winter 2021, bei der ich den Tod von Sergi Mingote miterlebt habe und bei der vier weitere Teammitglieder gestorben sind. Es war die schlimmste Erfahrung meines Lebens und nach dieser Expedition bin ich in ein tiefes Loch gefallen.

Ich habe aber auch viele wunderschöne Momente erlebt. Während meiner Reise durch Italien mit dem Camper habe ich viele interessante Menschen kennengelernt und atemberaubende Orte erkunden können. Ich bin ein großer Fan von der Natur und den Menschen in Italien. An einem Nachmittag zum Beispiel bin ich in ein kleines Dörfchen gekommen, wo mich ältere Leute herzlich aufgenommen und für mich gekocht haben. Wir haben uns gut verstanden und die Einfachheit, mit der diese Leute gelebt haben, war unglaublich schön. Auf dieser Reise sind mir teilweise die Tränen gekommen, weil ich so dankbar und so glücklich war über jeden Moment, jede Bekanntschaft und das, was ich gesehen und erlebt habe.

 

An einem gewissen Punkt in Ihrem Leben „mussten und konnten“ Sie sich mit ihrer Weiblichkeit auseinandersetzen. Wie kam es dazu?

Tamara Lunger: Ich war auf meinen Expeditionen oft mit Männern unterwegs, so auch auf einer Winterexpedition mit dem Höhenbergsteiger Simone Moro. Nach 18 Tagen harter Arbeit, in denen wir nur 500 Höhenmeter geschafft hatten, stürzte Simone in eine Spalte und nur mit viel guter Technik und gemeinsamer Kraft konnten wir uns aus diesem Schlamassel befreien. Es hat nicht viel gefehlt und fast wären wir beide in die Spalte gestürzt und wären nicht mehr zurückgekehrt. Ich kam dabei an meine Grenzen. Als wir wieder zu Hause waren, besuchte ich einen Guru in Leifers. Dort traf ich auf eine Frau, eine Freundin des Mannes, und sie sagte zu mir: „Du bist ein Mann. Ich gebe dir noch ein Jahr zu leben, wenn du deine weibliche Seite nicht akzeptierst.“ Das hat mich sehr nachdenklich gemacht. In der Zeit darauf, während den Corona-Lockdowns, habe ich viel über diese letzte Expedition reflektiert und mich mit meiner Weiblichkeit auseinandergesetzt. Heute kann ich sagen, dass ich im Einklang mit meiner Weiblichkeit bin.

 

Wie sehen sie das Frausein heute?

Tamara Lunger: Wir alle haben Pläne, Ziele und Träume. Mir ist klar geworden, dass man als Frau genauso viel erreichen kann wie als Mann, auf eine andere Art und Weise. Die Menstruation zum Beispiel war für mich immer eine Belastung. Aber mit der Zeit habe ich erkannt, dass ich dadurch sensibler bin und ein besseres Gespür für die Situation am Berg und mögliche Gefahren habe. Man hat eine andere Vorgehensweise, eine andere Denkweise und andere Prioritäten. Man will ein Ziel nicht unbedingt auf Biegen und Brechen erreichen, sondern sieht den Weg als das Ziel. Ich genieße jeden Schritt und das ist dann vielleicht der Gipfel. Solche Erkenntnisse haben mir klar gemacht, dass ich dankbar dafür sein kann, eine Frau zu sein und mir inneren Frieden geschenkt.

 

Können Sie unseren Leserinnen etwas über Ihre Initiative „For women“ erzählen?

Tamara Lunger: Auf den letzten Wunsch von meinem verstorbenen Expeditionspartner JP hin habe ich mit seinen Freunden ein Hilfsprojekt in Pakistan ins Leben gerufen. Gemeinsam wollen wir jungen islamischen Mädchen das Klettern beibringen. Aufgrund der unterschiedlichen Kulturen sind wir vielerorts auf Ablehnung und Unverständnis gestoßen. Wir haben viel Zeit und Geld in das Projekt gesteckt und bald werde ich ein weiteres Mal nach Pakistan reisen und das Projekt weiterführen.

In Afrika habe ich vor zwei Jahren ein weiteres Projekt gestartet. In meinen Projekten geht es vor allem darum, den jungen Frauen ihre Möglichkeiten aufzuzeigen, und ihnen dabei zu helfen, ihre Träume und Wünsche zu leben. 

 

Weitere Informationen zu Tamara Lunger, ihrer Geschichte, ihrer Arbeit und ihren Projekten finden sich auf ihrer Website.

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